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Porträt von Jacques Salamin (OG Sitten)

ANGETRIEBEN VON NEUGIER

«Weil ich im Wallis wohne.» So simpel ist die Antwort von Jacques Salamin auf die Frage, warum er sich dem Bergsport verschrieben habe. Der ehemalige Präsident der Ortsgruppe Sitten war schon früh fasziniert von den Graten und den zerklüfteten Gipfeln, er wollte „sehen, was sich auf der anderen Seite befindet“. Eigentlich erstaunlich. Denn er stammt aus einer Familie ohne Bergsteigertradition.

Geweckt wurde Jacques‘ Interesse für die Berge durch einen Film, den er in seiner Jugendzeit gemeinsam mit zwei Freunden gesehen hatte. „Les étoiles du midi“ mit dem französischen Bergsteiger Lionel Terray habe etwas aufgelöst in ihm, erinnert sich Jaques Salamin. „Ich glaube, der Film war wirklich der entscheidende Moment“. Als Dreierbande entdeckten sie daraufhin das „vertikale Leben“.

Die drei Jugendlichen gingen klettern, unternahmen Hochtouren und Skitouren. Praktisch an jedem freien Nachmittag seien sie unterwegs gewesen, erinnert sich der Sittener.  «Wir haben uns alles selbst beigebracht. Später haben wir feststellen müssen, dass wir doch einige Fehler gemacht haben, zum Glück ohne schwerwiegende Konsequenzen.», amüsiert er sich rückblickend. Ein alpiner Kurs in Arolla brachte dann etwas mehr Sicherheit. Und bestärkte die Jugendfreunde darin, diesen Weg weiterzugehen.

Auf dem Weg zum Bergführer
Gestern wie heute ist Jacques‘ Motivation dieselbe geblieben: Er will seine Freude mit Freunden teilen und so den Kopf freibekommen und dem Alltag entfliehen. Jaques Salamin sagt, die Berge seien sehr fordernd. „Man darf keine Fehler machen, das braucht Konzentration.“ Es möge etwas seltsam tönen: Bergsteigen sei zwar anstrengend für den Kopf, aber gleichzeitig auch erholsam. Denn es bleibe keine Zeit, an anderes zu denken. Ausserdem brauche es in keinem anderen Sport so viel Vertrauen in die Kollegen.

All das faszinierte ihn. Es war dann allerdings sein Vater, der ihn als 18-Jährigen für den Bergführer-Aspirantenkurs anmeldete. „Am Anfang dachte ich mir, ‚Was mache ich eigentlich da?‘ , aber plötzlich machte es Spass und es erging mir ganz gut“, erinnert sich Jacques Salamin. Trotzdem gab er seiner akademischen Karriere erstmal den Vorrang: Er studierte Ingenieur-Geometer und schloss die Bergführerausbildung erst nach der Universität ab. Danach arbeitete der Sittener parallel in beiden Berufen.

Geblieben ist ihm besonders eine Anekdote aus seiner Ausbildungszeit: Eine Tour, die er mit seinen beiden Jugendfreunden unternommen hat. Er erfüllte den beiden, mit denen er einst die Berge für sich entdeckt hatte, einen langgehegten Traum: Die Besteigung des Petit Clocher du Portalet. Ein wahres Abenteuer für alle, erinnert sich Jaques.

Vertrauen in seinen Instinkt
Er mag es, sich in den Bergen mit anderen auszutauschen. So war sein Weg zum Tourenchef der Ortsgruppe Sitten fast schon vorgegeben. Ein Amt, das Jacques Salamin während mehr als 16 Jahren innehatte. „Ich mag es, zusammen mit anderen schöne Landschaften zu entdecken. Und wenn rassige Skiabfahrten winken, laufe ich gern auch etwas weiter“, schmunzelt er. Als Bergführer sei er allerdings eher vorsichtig. Wenn er für sich allein unterwegs sei, gehe er allerdings ziemlich weit, gesteht er. „Ich habe grosses Vertrauen in meinen Instinkt. Wenn mir eine innere Stimme ‚Stop!‘ sagt, dann gehe ich nicht weiter.“ Er erinnert sich an eine Skitour im Val Ferret bei einer sehr heiklen Lawinensituation. Weil sich der Schnee früher umgewandelt hatte als vorhergesagt, unternahm er die Tour dennoch. Unten im Tal traf er auf eine Frau, die seine Abfahrt beobachtet hatte und zu ihm sagte: „Ich habe in jeder Kurve für sie gebetet“. Jacques erwiderte unbeeindruckt: „Ich auch“.

Heute ist Jacques Salamin immer noch in beiden Berufen tätig: Als Ingenieur-Geometer und als Bergführer. „Auch wenn ich schon bald pensioniert sein werde, arbeite ich immer noch viel“. Er führt weiterhin Touren für den SAC. Die meiste Zeit in den Bergen verbringt er allerdings mit seiner Familie. Immer wieder besucht er Kalymnos in Griechenland, um mit seinen fünf Kindern zu klettern. „Sie sind alle Bergsteiger und es ist schön, zusammen in der Natur unterwegs sein zu dürfen“, schwärmt er.

Jedem "sein" Berg
Jacques Salamin beobachtet die Entwicklung im Bergsport mit viel Interesse. Er hat festgestellt, dass die Berge heute für viel mehr Menschen zugänglich sind als früher. Die Berge hätten sich „demokratisiert“, sagt der Bergführer. Aber: „Auch wenn viele vielleicht etwas anderes denken: Ich glaube, dass für die meisten Sportler die Sicherheit an erster Stelle steht. Es gibt nicht viele, die bereit sind, unverhältnismässige Risiken in Kauf zu nehmen“. Es sei nun mal so, dass immer mehr Menschen von den Bergen fasziniert seien. „Jeder erlebt die Berge auf seine Weise. Das ist in Ordnung, so lange man auf einander Rücksicht nimmt.“

Jacques Salamin ist auch nach so vielen Jahren noch begeistert von den Bergen. „Auf jedem Gipfel sehe ich einen Grat, auf dem ich noch nie geklettert bin. Und es gibt immer ein Tal ein paar hundert Meter weiter, in dem wieder andere Bedingungen herrschen.“ Der stetige Wandel gefällt dem Bergführer: „Das Licht, der Schnee, alles ändert ständig. Je mehr ich unterwegs bin, desto mehr sehe ich“. Zum Glück ist Neugierde eine gute Eigenschaft.

Julien Wicky (übersetzt durch Priska Dellberg Chanton)