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Porträt von Giselaine Mariaux (OG Monthey)

Die Berge in den Genen

«Ich will immer auf dem Gipfel ankommen.» Das ist das Motto von Giselaine Mariaux. Ihr geht es darum, eigene Grenzen zu überwinden. Aufzugeben, das kommt für sie nicht in Frage. Sie habe einen ziemlich harten Kopf, gibt die junge Pensionierte mit einem Lächeln zu. Ob es das Bergsteigen ist, das ihren Charakter so geformt hat?

Schwer zu sagen. Gislaine, die aus Vouvry stammt, ist jedoch überzeugt: «Man muss hohe Anforderungen an sich stellen. Tut man das nicht, reicht es nicht bis nach ganz oben.» Das gilt für das Bergsteigen genauso wie für das Leben: Als Handarbeitslehrerin an der Primarschule war sie deshalb «etwas streng, aber korrekt.»

 

Wie sie die Berge für sich entdeckte
Zum Bergsteigen kam sie eher zufällig. «Als Mädchen habe ich jeweils eine Woche im Sommer bei einer Familie in Val Ferret verbracht. Ich musste zum Pilzsuchen mitgehen und später bekam ich Lust auf mehr», erklärt sie. Sie begann mit Wanderungen und entdeckte anschliessend das Klettern. Dass sie dabei immer etwas weiter kommen wollte, versteht sich von selbst. Ihr Tourenbuch ist denn auch gut gefüllt. Man darf sie nicht nach einer speziellen Anekdote fragen, es gibt viel zu viele davon. «Es ist jedes Mal etwas anderes. Das Matterhorn, der Grand Combin, die Dent-Blanche, die Überschreitung des Zinalrothorns – alles schöne Erinnerungen», resümiert sie. Heute, sagt sie selbst, sei sie «wieder auf etwas einfachere Touren zurückgekommen.» Ihre Liebe zu den Bergen hat sie aber keineswegs aufgegeben, sie nimmt immer noch neue Gipfel ins Visier. «Heute Abend werde ich klettern gehen. Und wahrscheinlich werde ich am Wochenende den Grande-Lui besteigen», sagt sie. Und ergänzt: «Die Form stimmt nicht schlecht und solange ich Lust habe, mache ich weiter.»

Was sie heute am SAC stört
Gislaine Mariaux ist Mitglied der Ortsgruppe Monthey und schon lange mit dem SAC unterwegs. Heute stört es sie manchmal, dass ihre Kollegen so schnell unterwegs sind. «Der Rhythmus wird zunehmend höher und manchmal wird es für die Leute in unserem Alter etwas schwierig, diesem zu folgen. Es wäre gut wenn es mehr Touren gäbe, welche auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten sind.» Schliesslich könnten Leute aus ihrer Generation genauso weit gehen wie die jüngeren, «einfach in unserem Berglerschritt.»

Die Bergsteigerin aus Vouvry war zuerst in einer alpinen Gruppe für Frauen aktiv. Beim Schweizer Alpenclub ist sie seit dem ersten Tag dabei, an dem er sich für Frauen geöffnet hatte. Sie ist stolz darauf, als eine der ersten Frauen den Mitgliederausweis erhalten zu haben. Danach entwickelte sie ihre Fähigkeiten am Berg stets weiter. «Ich habe mit Wanderungen begonnen, anschliessend waren es die Bergführer oder Tourenleiter, die mir jeweils  sagten: ‚Jetzt ist es gut, du hast das Niveau um weiter zu gehen.‘ Das hat mir viel geholfen.» In der Vergangenheit, ergänzt sie, habe man nicht weniger Risiken auf sich genommen. Allerdings werde heute vom Tourenleiter erwartet, dass er quasi ein Null-Risiko garantiere. Das mag sie nicht. «Früher war es an uns, die Einschätzung zu machen und sich das Können anzueignen.»

Deshalb hat sich Gislaine immer bemüht, auch neben dem Bergsteigen ein regelmässiges Training zu absolvieren. «Ledig und ohne Kinder hatte ich die Zeit und war mein Ausgleich zur Arbeit.» Ihre solide Ausdauer hat sie sich auch dank vielen Reisen nach Asien angeeignet. Im Königreich Butan hat sie unter anderem elf Pässe überschritten. «Dort ist es einfacher, mit Leuten in Kontakt zu kommen als in den Städten.»

Wenn sie auch zugibt, bei einigen Aufstiegen gelitten zu haben: Beklagt hat sie sich nie. Als nächstes Ziel erwähnt sie einen «grossen Alpengipfel»,  ohne jedoch den Namen zu verraten. «Weil es wohl ein Traum bleiben wird», meint sie. Einen Traum, den sie sich bereits in der Vergangenheit habe erfüllen wollen, aber dabei einen ihrer wenigen Rückschläge erlitten hat. «Es war jemand in der Seilschaft, welcher Probleme hatte».

Ich zweifle nicht daran, dass Giselaine Mariaux zu diesem Berg zurückkehren wird. Schliesslich will sie den Gipfel immer erreichen…

Julien Wicky (übersetzt von Priska Dellberg Chanton)